"Wenn Du der Einsamkeit begegnest, hab' keine Angst. Sie ist eine kostbare Hilfe, mit sich selbst Freundschaft zu schließen."
Indisches Sprichwort
Alleine sein ist die physische Abwesenheit anderer Menschen; einsam sein ist das Gefühl des Mangels. Dieses Gefühl kann durchaus auch vorhanden sein, während andere Menschen um uns herum sind. Wir fühlen uns trotzdem anders, nicht dazugehörig, von Gott getrennt - also einsam. Genauso kann es aber auch sein, dass wir alleine sind, uns aber nicht einsam fühlen.
Warum kennen und fühlen wir Einsamkeit?
Weil wir Menschen soziale Wesen sind und schon immer in Gruppen gelebt haben. Wir sind keine Einzelkämpfer. Das Überleben wäre in Gefahr gewesen. Deshalb verbinden wir mit Einsamkeit instinktiv die Gefahr des Nicht-Überlebens und haben ein instinktives Bedürfnis nach Verbundenheit und Zugehörigkeit.
Während wir uns verlassen fühlen, sind wir von uns selbst abgeschnitten, weil die schmerzhafte Emotion uns von unserer Liebeskraft unseres eigenen Herzens trennt.
Folgen der Einsamkeit:
Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer hat herausgefunden, dass langfristig schmerzhaft erlebte Einsamkeit unser Immunsystem schwächt und zu psychischen und körperlichen Stresserkrankungen führt. Das negative Gefühl der Einsamkeit, das oft gepaart ist mit dem Gefühl der Verlassenheit, Angst oder Scham, führt zu einer Stressreaktion in unserem Körper, die wiederum Gene anstößt, die zu Stresserkrankungen führen.
Eine Studie hat ergeben, dass im Gehirn bei empfundener Einsamkeit die gleichen Regionen angesprochen werden, wie bei körperlichem Schmerzempfinden. Einsamkeit tut weh!
Fühlen sich alle Menschen, die alleine leben, einsam?
Einsamkeit hat nichts mit unserer äußeren Lebensform zu tun, also ob wir in einer Beziehung, eingebettet in eine Familie oder alleine leben, sondern mit unserer Innenwelt, unseren Bindungsverletzungen und mit dem Grad unserer Offenheit bzw. Verschlossenheit unseres Herzens. Es spielt auch eine Rolle wie wir das Leben an sich sehen - ist es bedrohlich oder sind wir überzeugt, dass es das Leben gut mit uns meint?
Die Einsamkeit nach Trennung und Todesfällen einer wichtigen Bindungspersonen ist eine
zutiefst existentielle Erfahrung und Bedrohung! Diese Wunde zu heilen braucht Zeit, eine zutiefst mitfühlende Einstellung mit sich selbst, die Bereitschaft einen "Entbindungsprozess" zu dieser Person zu durchleben und oft Hilfe von außen durch Therapie oder Begleitung.
Bei Bindungstraumatisierung aus der Kindheit braucht es zwei Wege zum Heilen: man muss lernen, sich selbst mitfühlend zu betrachten damit sie heilen kann. Und es muss dort wo Mangel ist, die Möglichkeit einer neuen guten Erfahrung gegeben werden, ohne Abhängigkeit zu schaffen (z.B. vom Therapeuten). Es braucht ein liebevolles und präsentes Gegenüber. Heilung braucht Gemeinschaft.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen Einsamkeit und Selbstliebe?
Einsamkeit hat häufig etwas mit Selbstliebe zu tun. Wir denken, es stimmt etwas nicht mit uns und lassen uns deshalb aus Scham nicht auf Beziehung ein. Ich habe Vorstellungen, wie ich sein muss, damit ich dazugehören darf. Dann beginnen wir, uns zu verbiegen, uns anzupassen und damit verlieren wir den Kontakt zu uns selbst. Es sind die Augen unseres kleinen Kindes, das fragt "wie muss ich sein, was muss ich tun, damit ich geliebt werde". In dem Prozess der "Liebevollen Zwiesprache" können wir zu dem Punkt gelangen, der schmerzt. Wenn wir uns trauen, das Gefühl zu durchfühlen können wir erfahren dass es neben dem Kind einen erwachsenen Anteil gibt, der in der Lage ist, diesen Schmerz zu halten und somit zu lösen. Es ist möglich, dass das schmerzhafte Gefühl transformiert wird in Selbstbestimmtheit, Kraft und Freude. Ich darf mich weiterentwickeln und bin wieder liebesfähiger - auch zur Selbstliebe.
Zusammenhang Alleinsein und Beziehungsfähigkeit:
Basis einer gesunden Beziehung ist die Fähigkeit, mit sich selbst allein sein zu können. Dann sind wir aus Liebe und Zuneigung zusammen und nicht aufgrund eines eigenen Mangels. Häufig ist die Basis einer Partnerschaft die Angst vorm Alleinsein. Das ist bildlich gesprochen wie zwei Löcher, die sich füllen möchten, aber da gibt es nichts in dem Loch was den Anderen füllen kann. Natürlich dürfen wir glücklich sein den Anderen zu haben, aber die vorherrschende Kraft ist "ich kann auch alleine sein". Ich muss den Anderen nicht benutzen, aber ich kann mich drüber freuen und es als ein Geschenk betrachten, den Anderen zu haben.
Dann reden wir von einer konstruktiven Symbiose (= gegenseitige Unterstützung ohne sich zu schaden) im Gegensatz zur destruktiven Symbiose (= Abhängigkeitsstruktur um nicht allein zu sein). Erst wenn wir nicht mehr glauben und erwarten, dass der Andere uns unsere Ängste nimmt, sondern wir eigenverantwortlich und mit der Bereitschaft der Weiterentwicklung in eine Beziehung gehen, können gesunde Strukturen entstehen.
Wie kann man das Alleinsein als Kraftquelle nutzen?
Das Alleinsein kann man nutzen, um sich Raum für sich selbst zu nehmen, Antworten zu finden und damit eine innigere Verbindung zu sich selbst aufzubauen:
Wie geht's mir gerade?
Was fühle ich?
Bin ich im Einklang mit meinen Werten oder versuche ich gerade meiner Umgebung zu gefallen?
Was brauche ich?
Alle Nähe beginnt in einem selbst! Die tiefste Beziehung, die man führen kann, ist die Beziehung zu einem selbst. Erst durch eine tiefe und liebevolle Beziehung zu einem selbst, kann man diese auch zu Anderen aufbauen.
Welche Möglichkeiten gibt es, aus der Einsamkeit herauszukommen?
- Wenn wir uns sinnwirksam in der Welt erfahren und wenn wir merken, dass wir gebraucht werden. Viktor E. Frankl hat den Begriff der Selbsttranszendenz eingeführt. Wir können uns über uns selbst erheben und in der Welt wirksam sein. Welches Geschenk kann ich der Welt geben? Selbst wenn ich mich gerade sehr einsam fühle, wird es jemanden geben, dem es schlechter geht und dem ich helfen kann. Die Sinnaufrufe des Augenblickes nutzen. Kleine Dinge tun, um Leid zu lindern. Dadurch öffnet sich unser Herz. Mit einem offenen Herzen können andere Menschen in unser Leben kommen.
- Wenn wir dankbar sind. Dankbarkeit ist eine mächtige Kraft in unserem Leben. Konzentrieren wir uns auf die Fülle unseres Lebens: dass wir morgens warmes Wasser haben, dass wir i.d.R. genug Essen haben, dass wir gesund sind bzw. was an unserem Körper alles gesund ist.
Hierzu eine Übung: morgens die ersten Gedanken dahin lenken, wofür wir dankbar sind. Und dann in uns hineinspüren bis unser Körper darauf reagiert (z.B. wir fühlen uns wärmer, es wird in uns heller oder weiter,...). Dann gehen wir anders in den Tag und unsere Wahrnehmung ändert sich!
In dem Prozess der "Liebevollen Zwiesprache" kann ich meinem wahren Wesenskern näher kommen. Je näher ich mir selbst komme, desto weniger einsam fühle ich mich. Je tiefer meine Beziehung zu mir selbst ist, desto tiefer kann meine Beziehung zu Anderen sein.
Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass gesunde, tiefe Beziehungen mit der Hauptgrund für ein gesundes langes Leben sind. Deshalb tun Sie den ersten Schritt in die richtige Richtung jetzt.
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